Faltenwurf – Ausstellung

Foto: Günter Wintgens

Fotos: Günter Wintgens

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Über den Faltenwurf

FALTENWURF, die Kunst der Anordnung u. Formgebung des Gewandes, eine der schwierigsten Aufgaben in der Kunst u. darum ein vorzügliches Zeugniß für Talent u. Geschmack, weil der Künstler dabei von Natur u. Wirklichkeit nur wenig unterstützt wird, indem der Zufall in der Regel die widersprechendsten Formen u. Züge hervorbringt.

 

Die Aufgabe des Künstlers beim Anordnen der Gewandung ist im Allgemeinen, daß der F. die Hauptabtheilungen der Gestalt, Schulter, Ellenbogen, Hüfte, Knie etc. hervorhebe u. daß er die beabsichtigte Bewegung derselben bezeichne; daß er nicht mit Schattenmassen die Lichtmassen unterbreche, über Höhen u. Flächen sich nicht mit tiefen Einschnitten lege u. seine die Würde der Gestalt hebenden großen Partien da habe, wo sie der Entwickelung der Gestalt selber nicht hinderlich sind. Die Formen müssen rein, daher die Falten fest begrenzt, nicht verfließend, ihre Brüche, d.h. die Stellen, wo die erhabenen Massen sich begrenzend um die Vertiefung legen, sein, bestimmt, aber weich ausgedrückt sein u. den Unterschied groben u. zartern Stoffes berücksichtigen.

 

Der größte Reiz des F-s besteht in der strengen Lösung dieser Aufgabe unter Anwendung harmonischer Linien, klarer in sich zusammenhängender Formen, abwechselnder Massen. Weit genommen, unterscheidet man nur 2 Style des F-s, den antiken (bildhauerischen), u. den romantischen (malerischen), der erste will die Gestalt u. Bewegung so wenig als möglich bedecken u. verstecken (weshalb auch häufig naß anliegende Gewänder), der andere will Gestalt u. Bewegung durch die Umhüllung zeigen, od. auch nur andeuten; der erstere ordnet sich der Gestalt ganz unter, der andere gewinnt eine bedeutende Selbständigkeit. Nur dieser entwickelt sich zu eigenthümlicher u. verschiedenartiger Ausbildung, je nach den verschiedenen Schulen, so daß sich nicht nur der italienische von dem deutschen F. unterscheidet, sondern der venetianische von dem römischen, florentinischen etc., u. zuletzt der eines Meisters von dem eines anderen.

 

Der malerische Styl ist in der christlichen Kunst auch in der Sculptur vorherrschend geblieben, obschon viele Idealisten versucht haben, hier den antiken geltend zu machen. Die erste Ausbildung des romantischen F-s fällt in Italien in das 14. Jahrh., in Deutschland, wie es scheint, früher.

 

Die Malereien der alten Florentiner gaben die besten Proben; seine höchste Ausbildung erlangte er durch Rafael. Unter den Späteren, namentlich den Manieristen, ging der Sinn für Schönheit u. Gesetz des F-s ganz verloren. Man hielt sich zu einiger Entschädigung an die Wirklichkeit u. glaubte, etwas erreicht zu haben, wenn man Wolle von Baumwolle unterscheidlich dargestellt, u. wenn man einen über den Gliedermann gehängten Mantel od. einen über das Thonmodell gelegten Lappen mit Treue nachgebildet hatte.

 

Als Meister des F-s in eigener, freier Anordnung u. schöner klarer Form nach malerischen Principien erscheint in neuerer Zeitvor allen Cornelius u. in gleicher Weise nach bildhauerischen Anforderungen Thorwaldsen.

 

Pierer's Lexicon. 1857–1865